Ortsnamen in fünf Sprachen

Heimatmuseum-Lenz-dtv

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Entschuldige mein Lächeln, aber weißt du, woran ich denken muß? An die Versuche der arroganten Ostlandreiter die Zeit als ihre Zeit kenntlich zu machen, und das heißt Geschichte zu berichtigen durch die Zuerkennung neuer Namen; auf einmal kam das bei uns in Mode: wer glaubte zuviele Konsonanten im Namen zu führen — einerlei, ob Familie, Ortschaft oder Fluß –, der konnte sich umbenennen lassen, ja, sogar die Dinge durften umgetauft werden, neue Namen sollten eine ungewisse oder unliebsame Herkunft verdecken, vertraute Zungenbrecher, an die man seit alter Zeit gewöhnt war, wurden aus dem amtlichen Verkehr gezogen und durch wohllautende deutsche Eigennamen ersetzt. Tatsächlich, Namen sollten Faustpfand sein, Bollwerk und Garantie und wie es sonst noch hieß.

… Jedenfalls der Ofensetzer Eugen Lawrenz will mit nuscht als Freundlichkeit im Kopf den langen Birkenweg nach Panistrugga gegangen sein — einen Weg, den seine Beine sozusagen auswendig kannten — als er feststellen mußte, daß die alten Hinweisschilder nach Maczinowen und Maleczewen ersetzt worden waren; statt zu den ihm bekannten Ortschaften führten die Abzweigungen jetzt nach Martinshöhe und Maleten. Er hielt das für einen Irrtum oder für eine Dreidammligkeit, er ging weiter in Richtung Panistrugga, einfach, weil er von dort aus nach Skrzypken und Krzysewen wandern wollte wie jedesmal zuvor.

Der junge Fährmann, der ihn über das Flüßchen Czerwaune bringen sollte, tat, als habe er die Bitte nicht gehört; vorwurfsvoll wies er auf ein Schild, das den Namen des Flüßchen mit Rotbach angab, und in belehrendem Ton soll er erklärt haben: De alte Czerwaune is man einjetrocknet, darum kann ich keinen ieber ihr Wasser rieberbringen; was hier bis in alle Ewigkeit fließt, das is der Rotbach; wenn ieber dem rieber willst, denn komm.
Und er ließ sich übersetzen, und in seiner Verstörtheit will es ihm so vorgekommen sein, als hätten sich die Ufer der alten Czerwaune tatsächlich verändert: er fand die kahlen, brandbraunen Flecken nicht wieder, die ihn früher immer an die durchgescheuerten Stellen eines Pelzes erinnert hatten.

Als er sich der Ortschaft Panistugga näherte, flogen wie immer Scharen von Kiebitzen auf, die sich in schlenkerndem Flug sammelten und ihn dann angriffen von beiden Seiten des Wegs, so lange bis er Thurows Wirtschaft erreichte. Hier stand das Ortsschild; es war übergemalt; es sagte ihm, daß er sich in Herrenbach befand. Eugen Lawrenz will sich da derart genarrt gefühlt haben, daß er nichts nötiger zu haben glaubte als ein Gläschen Nikolaschka; so betrat er die Wirtschaft, in der an einem Ecktisch starräugig Iwaschkowski saß, der Gendarm. Sie tranken sich zu, und danach fragte der Ofensetzer, ob im Bezirk womöglich eine neue Krankheit ausgebrochen sei, die Taufkrankheit, worauf der Gendarm dem Fragesteller empfahl, ihn künftig nicht mehr mit Iwaschkowski anzureden, sondern mit Hausbruch, Waldemar Hausbruch.

Bedripst brach er nach Krzysewen auf, passierte Krolowolla, und fand mit geschlossenen Augen durch Kallenzynnen, das nun Lenzendorf hieß, schleppte sich durch das windstille Skrzypken. das sich in Geigenau verwandelt hatte; wir glaubten ihm, daß, als er schließlich nach dazu angehalten wurde, die Krzysewer nur noch mit Kreuzborner anzusprechen, seine Verbiesterung nicht folgenlos bleiben konnte.

In der Kreuzborner Herberge nach seinem Familienname gefragt, bot er mehrere zur Auswahl an, unter anderem Lanonowski; zur Ordnung gerufen, mußte er gestehen, daß ihm sein Name entfallen war. Da Leute ohne Namen in keiner masurischen Herberge übernachten durften, mußte Eugen Lawrenz die ersten Nächte im Freien verbringen –einmal unter grasenden Pferden, die ihm die Schuhsohlen wegknabberten.

Im Haus eines Großbauern, dem er vor vielen Jahren einen Ofen aus grünen, glasierten Kacheln gesetzt hatte, hielt er es nur vorübergehend aus; obwohl er noch Zierkacheln befestigen und Wärmekacheln auswechseln mußte, verdrücke er sich ohne Bezahlung, da, wie er sage, die streitsüchtigen Eheleute zuviel von ihm verlangten: er, der Großbauer wünschte ausschließlich mit seinem neuen Namen Henneberg angesprochen zu werden: seine Frau hingegen bestand auf dem alten Namen Kokostka; der Berufungen überdrüssig, die er nach jeder Verwechslung zu hören bekam, schlich Eugen Lawrenz sich davon und wanderte nach Orzechowen, daß sich anmaßend in Nußberg umbenannt hatte, obwohl es dort weder Nußbäume noch einen Berg gab. Einen Kiefernwald gab es da, von Anbeginn unter dem Namen Czimoch bekannt, in dem Eugen Lawrenz als junger Ofensetzer mehrmals Schutz vor Herbstgewittern gefunden hatte; wie ein beleidigter Nußberger ihm nun erklärte, sei der »Czimoch mal jewesen«, jetzt heiße er Finsterwald.

Da will Eugen Lawrenz einfach weitergezogen sein über Sawadden und Brochowen nach Lawrenzicken, wo ihm auf der Kleinbahnstation sein Familienname wieder einfiel; sogleich kaufte er eine Fahrkarte nach Lucknow, und wie er behauptete, habe er während der Fahrt die Vorhänge zugezogen und sich auf den Stationen die Ohren zugehalten, um die ausgerufenen Ortsnamen nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, denn mehr als alles andere war ihm daran gelegen, sich ein Masuren zu bewahren, wie es in seiner Erinnerung entsprach, im dem er sich auskannte und heimisch war. Was nitzt, sagte er, wenn alles so schön deitsch klingt und is doch aufjezwungen: Przepiorken wird immer Przepiorken bleiben, auch wenn es jetzt dreimal Wachteldorf heißt.