Liebster Niki! (der russische Zar Nikolaus II.)
Darf ich Deine Aufmerksamkeit und ebenso Dein Interesse auf einen Plan, der mich schon seit mehreren Jahren beschäftigt hat, lenken? Während meiner Reise in Rominten habe ich genau die Entwicklung* der beiderseitigen Grenzländer in meiner Nachbarschaft studiert. Ich bin zu dem Entschluß gekommen, daß die Bezirke auf beiden Seiten unserer Grenze vielversprechend sind und eine hoffnungsvolle Zukunft erwarten lassen. Aber sie müssen aufgeschlossen sein und möglichst miteinander in Beziehungen treten.
Auf der beigeschlossenen Eisenbahnkarte ist eine Linie in Rot gezeichnet. Sie stellt eine neue Eisenbahn dar, die gebaut werden soll und um die große Romintener Heide verläuft, um den Holztransport leichter als bisher zu gestalten. Die Linie zweigt von Goldap ab, geht bei Pablindzen vorbei nach Szittkehmen, wo sie die Zweiglinie nach Eydtkuhnen trifft. Die Linie wird Steinbrüche und Kiesgruben aufschließen und eine große Menge Holz aus dem Romintener Forst befördern.
Nun wage ich, Deine Aufmerksamkeit auf den Gedanken zu lenken, ob es nicht praktisch für Deine Regierung wäre, eine Eisenbahn von Suwalki nach Pablindzen zu erbauen und hier an unsere Eisenbahnlinie anzuschließen. Das würde den Handel zwischen diesen beiden Bezirken ausgezeichnet entwickeln. Pablindzen ist ein Ort, über den schon ein lebhafter Verkehr sich hin und her entwickelt hat, und der noch größer zu werden verspricht, falls hier eine Linie gebaut wird.
Der Plan ist mit Deinen Behörden seit sehr langer Zeit erörtert worden. Ich hatte namentlich über ihn mit Exz. de Stremanko gesprochen, der auch daran sehr interessiert war und ihn auch für sehr notwendig im Interesse des Gouvernements Suwalki hält. Er versprach mir, daß er Dir über diesen Plan in günstigem Sinne berichten würde, und er traf Vorbereitungen, tätigen Anteil an seiner Förderung zu nehmen, als er von seinem Posten sich zurückzog, und damit war die Sache zu Ende. Es ist sehr schade, da die Grenzbevölkerung an der weiteren Entwicklung dieser Frage sehr interessiert ist. Er war ganz mit allen Einzelheiten dieser Fragen auf beiden Seiten der Grenze vertraut und stand hier mit meinen Behörden in ständigem Verkehr.
Alles dies ist jetzt zum Stillstand gekommen, da sein Nachfolger noch keine Schritte ergriffen hat, um sich mit seinen Kollegen jenseits der Grenze in Verbindung zu setzen, obwohl er bereits seit zwei Jahren im Amte ist. Darum baten mich die Leute von allen Seiten, Dir direkt diese Angelegenheit vorzulegen, was ich hiermit getan habe. Ich bitte Dich um Verzeihung, wenn ich Dich mit einem so elenden kleinen Grenzdetail belästige, aber da ich 24 Jahre unter diesen Leuten lebe, habe ich zusammen mit ihnen die Dinge wachsen sehen, und sie haben Vertrauen zu mir gefaßt. Es sind einfache, ruhige, arbeitsame Leute und wie alle Grenzdistrikte ein wenig vergessen. Und da es ein gutes Werk ist, solchen armen Leuten zu helfen, versuche ich mein Glück mit Dir.
Ich hatte gute Jagd, etwa 19 Hirsche, aber mit Ausnahme von zwei Tagen scheußliches Wetter. Heute Schneefall und Hagel.
Herzlichen Gruß Alix und den Kindern und Weidmannsheil für Dich.
Dein stets wohlgesinnter und ergebener Vetter und Freund Willy (der deutsche Kaiser Wilhelm II.)
Rominten, 3. X. 1912.
In dem Verwaltungsbericht der Militärkreisverwaltung Suwalki für die Zeit von 1. Oktober 1917 bis 31. März 1918 wird auf Seite 16 unter 4. Eisenbahnen. diese seitens der General-Direktion geplante Vollbahn Suwalki–Pablindszen aufgeführt. (rote Linie auf der Karte links).
Das große Projekt einer zusätzlichen zweigleisigen militärischen Transportstraße III über Angerburg–Goldap–Pablindszen–Kalwarija nach Szcostakow (Šeštokai) an der Strecke Suwalki–Olita (rote gepunktete Linie) wurde 1917 bis 1918 im Bereich Goldap–Pablindszen mit Nachdruck verfolgt. Daher rühren zum Beispiel die großen Brücken bei Jörkischken, Thewelkehmen, Eszergallen und Staatshausen; drei davon sind Doppelbrücken und belegen, daß eine zweigleisige Strecke geplant war; in diesem Punkt ist der Bericht fehlerhaft.
1917 waren die Städte Suwalki und Szcostakow fest in deutscher Hand; genauer gesagt in der Hand der Herren Ludendorf und Hindenburg in ihrem „Königreich“ Oberost.