Mit der Kleinbahn in die Schule
Soyka Forts.
An einem Markttag kam in Schwentainen auch der Schwiegersohn des Textil- und Kurzwarenkaufmanns Czerninski, Max Gutt, in unser Abteil. Wir ließen ihn gerne ein, weil er ein „ulkiger Spaßvogel“ war.
Im Jahre 1917 erzählte man, er habe einen großen russischen Kriegsgefangenen festgenommen, der irgendwo ausgerückt war. Gutt hatte die Wäsche auf einer Wiese am See (Bleiche) bewacht, als plötzlich der Russe mit einem Stock bewaffnet auf ihn zukam. Gutt griff in die Westentasche, zog seine kleine Textilschere heraus und hielt sie wie einen Revolver dem Russen entgegen. Der warf seinen Knüppel fort und ließ sich mit erhobenen Händen abführen. Ergo hielten wir Gutt für einen mutigen Mann und baten ihn, unsere Abteiltür mit dem Fensterzugband zuzuknöpfen, um weitere „Unbefugte“ auszusperren.
Er war noch damit beschäftigt, als draußen zwei verwegene Burschen vor der Abteiltür erscheinen und natürlich rüttelten und schimpften, weil sie annahmen, daß Gutt die Tür zuhielt. Dieser gab angstvoll den Drohungen nach und löste das Verschlußband. Empört fielen nun die Burschen über den schwachen Gutt her und verprügelten ihn, wobei wir einer Gefahr vorbeugend in die Gepäcknetze und in die zweite Klasse flohen. Das Abteil wurde auf den nächsten Stationen noch von weiteren „Unbefugten“ betreten, zumal wir es nicht wagten, unseren Warnruf „Kindercoupé“ zu erheben.
Unsere beliebtesten Fahrerlebnisse hatten wir im Winter, wenn das Kleinbähnchen im Schnee stecken blieb. Eine bis zwei Stunden munteres Tummeln im Schnee waren natürlich angenehmer als Unterrichtsstunden in der Schule.
Solches Toben im Schnee nutzte ich eines Wintertages, um den Muff der Eva Weinberger mit Schnee zu füllen. Oh war sie böse, als ihre frierenden Hände in dem kalten Schneematsch landeten. Am Nachmittag auf der Rückfahrt rächte sie sich; als ich ahnungslos meinen Trinkbecher von der Thermosflasche zum Mund führte, gab die mir einen Schubs unter die Hand, sodaß mein Kaffee Kragen und Jacke arg bekleckerte. Als ich zwei Tage später wieder meinen Kaffeebecher nutzen wollte, warf sie mir einen dicken Briefumschlag zu: „Damit du dich nicht wieder bekleckerst“. Im Brief steckte ein Babysabberlätzchen.
Wenn wir, vertieft in unsere Schulbücher, friedlich auf unseren Plätzen saßen, durchschritt der Zugführer Herbert Szepanski zufrieden lächelnd unser „Kindercoupé“, . Dann drang über dem Rattern und Klicken der Räder gedämpft das angestrengte Stöhnen und Zischen der kleinen Dampflokomotive an unser Ohr und ihr munteres Bimbim und Tütü verrauschte in der Stille unseres schönen Heimatlandes. Mit mir fuhren aus Schwentainen Geschwister Maria, Oskar, Gertrud und Else Bandilla, dann die Pfarrerstöchter Eva und Ursula Weinberger; in Duttken stieg Paul Huhmann dazu und in Giesen die Geschwister Else, Richard und Kurt Nitsch, ferner die Brüder Hans und Herbert Pawlowski, sowie die schöne Käthe Wenzel und ihr Bruder Hans (?). In Gut Giesen stiegen die Geschwister Wilhelm, Karl sowie zwei jüngere Schwestern Salewski ein. Schließlich kam als letzter Fahrschüler in Saiden der Walter Dormeyer dazu. Die gute alte Kleinbahn existiert heute leider nicht mehr. Gelegentlich meines Besuches in Treuburg im Jahre 1973 mußte ich feststellen, daß die Russen nicht nur alle rollenden Teile, sondern auch Lokomotivschuppen, Werkstätten, Stationshäuser und den ganzen Unterbau –Schwellen und Schienen– ausgeraubt und entführt hatten. Nur die Durchstiche der Berge und der von verwachsenen Gräben eingeschlossene Damm zeugten von der einstigen Streckenführung, auf deren verlassenen Spuren Disteln und Gräser blühten. aus dem Archiv der Kreisgemeinschaft Treuburg
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